Die Bibel macht uns so oft Mut





Manchmal stöbere ich in der Bibel.
Ich schlage sie irgendwo auf, blättere, lese, wo ich da zufällig gelandet bin
und lese mich oft an einer Stelle fest.

Mit anderen Büchern kann man das nicht machen.
Romane wollen vom Anfang gelesen werden,
sonst kommt man nicht in die Geschichte rein.

Bei der Bibel ist man fast immer gleich drin, und immer stösst man auf etwas
Erstaunliches, Wunderbares oder Ergreifendes.

Beim Stöbern stelle ich zum Beispiel fest, wie häufig es in der Bibel heisst:

"Fürchte dich nicht!"

Jedes Mal ist es Gott, der so spricht, oder ein Engel
oder Jesus Christus, und offenbar können sie es uns nicht oft genug sagen:

"Fürchte dich nicht!"

Aus der Sicht Gottes scheinen wir ziemlich schreckhafte, ängstliche Wesen zu sein.
Maria ist fassungslos, als der Engel ihr die Botschaft von ihrer Schwangerschaft
überbringt - "Fürchte dich nicht!", sagt der Engel.

Die Hirten von Bethlehem sind zu Tode erschrocken,
als sich der Nachthimmel über ihnen öffnet und die Herrlichkeit
Gottes sichtbar wird - "Fürchtet euch nicht!", sagt der Engel.

Und der Prophet Ezechiel ... aber dafür muss ich etwas weiter ausholen.

Gott will nämlich, dass Ezechiel seinen Mitmenschen unangenehme Dinge sagt wie:
"Hört endlich auf, euch so zu verhalten, dass spätere Generationen darunter leiden
müssen ...".

So etwas hört man bis heute nicht gern, und man sieht förmlich, wie
Ezechiel bleich wird. Da sagt Gott: "Fürchte dich nicht vor ihnen und vor ihren Worten.
Fürchte dich nicht, auch wenn sie so widerspenstig wie Dornengestrüpp sind und du glaubst,
auf Skorpionen zu sitzen. Vor ihren Worten fürchte dich nicht, und vor ihren Gesichtern
hab keine Angst!"

Grossartig. In der Bibel wird nie drum herum geredet.

Ezechiel weiss jetzt, dass ihn jede Menge Ärger erwartet.
Aber nachdem Gott ihm so gut zugeredet hat, traut er sich die Sache zu.

"Fürchte dich nicht!" -
mit diesem Satz im Ohr tritt Ezechiel vor die Leute
und wird zu einer der ganz starken Figuren unter den Propheten Israels.

Allein für solche Sätze lohnt es sich,
ab und zu in der Bibel zu stöbern.
Finde ich.

Gott segne Sie.
Abtprimas Notker Wolf




Kann uralte Sehnsucht den Glauben ersetzen?

Auf einer belebten Strasse drückte mir jemand ein Kärtchen in die Hand.
Ich las: "Meditieren mit Delphinen, Einhörnern und Engeln".
Offenbar warb da eine Therapeutin für sich, und ich gestehe:
Im ersten Augenblick musste ich lachen.
Wass für ein Unsinn, dachte ich kopfschüttelnd.
Delphine, Einhörner, Engel - geht es noch schräger?

Nach längerem Nachdenken aber schien mir, als würde ich aus der Sache klug.
Was einen bei diesen Meditationen genau erwarten würde, war mir immer noch
ein Rätsel. Aber plötzlich konnte ich mir einen Reim auf die Delphine,
die Einhörner und die Engel machen, denn alle drei stehen für eine uralte
menschliche Sehnsucht.

Woran denken wir denn beim Delphin?
An ein Geschöpf, das mit spielerischer Leichtigkeit das Wasser durchpflügt
und dem dabei ein Lächeln ins Gesicht geschrieben ist, als wäre jede
Bewegung ein Ausdruck reinster Lebensfreude.

Die Weite des Ozeans steht dem Delphin offen, er kennt keine Hindernisse,
und wer sich in ein solches Wesen hineinversetzt, der muss wohl Glück empfinden.

Mit dem Einhorn wiederum verlassen wir die Realität, betreten die Welt der
Märchen und nähern uns einem Wesen, das Reinheit und Unschuld ausströmt.
Sicher, es ist eine Ausgeburt der Fantasie.
Doch wenn man bedenkt, was die Fantasie oft an Schrecklichem ausbrütet,
muss man für Einhörner geradezu dankbar sein.

Die Engel schliesslich kommen aus einer ganz anderen Welt, der himmlischen,
der göttlichen. Obwohl unsichtbar, sind sie doch gegenwärtig und schützen,
trösten, stärken uns.

Wenn also Delphine für Lebensfreude stehen und Einhörner für Unschuld,
dann stehen die Engel für Zuversicht und Geborgenheit.

Mit anderen Worten: Was uns die Therapeutin verheisst, ist der Zutritt
zu einer grenzenlosen Welt der Wunder.
Einem Jenseits, in dem wir uns frei und unschuldig und
sicher fühlen dürfen.

Allerdings - ich werde ihr Angebot trotzdem nicht annehmen.
Denn all das und noch viel mehr finde ich in meinem Glauben.
Gott segne Sie!

Notker Wolf